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Interview

Künstler Jürg Halter: «Manche linke Feministinnen tun gerne so, als würden Frauen an der Macht alles viel besser machen.»

Universalkünstler Jürg Halter zeigt seine erste Soloausstellung in Zürich. Ein Gespräch über die verlogene Kunstwelt, dumme Slogans und die Folgen übersteigerter Identitätspolitik in seiner Ausstellung «Fuck Slogans» in der Galerie Stephan Witschi. 

«Würden wir die Stille überhaupt aushalten, wenn wir nur noch von dem sprechen, von dem wir etwas verstehen?» Jürg Halter vor seinen Werken «Silence », «Sad» und  «Fuck Slogans #2» (v.l.) in seiner Ausstellung «Fuck Slogans»  in der Galerie Stephan Witschi in Zürich.
Bild: Severin Bigler / CH Media

Dass Aktivistinnen, Werber, Medien oder Parteien tagtäglich mit Überzeugungs- und Weltverbesserungssätzen um sich werfen, ärgert den Berner Künstler Jürg Halter (42) gewaltig. Ein Rundgang durch seine erste Soloausstellung in der Zürcher Galerie Stephan Witschi, die mit erstaunlich wenig Slogans auskommt, dafür mit selbstbewussten Buchstaben, welche sich eindeutigen Lesarten verweigern.

Jürg Halter, über welche Slogans haben Sie sich zuletzt geärgert?

«Be yourself». Ein Spruch, mit dem man für etwas wirbt, das maximal von einem selbst wegführt, etwa für eine Anti-Falten-Hautcreme. Auch sehr schlimm finde ich diesen in identitärpolitischen Kreisen sehr angesagten Einwurf «Check your privilege» - also diese ungenaue Aufforderung ans Gegenüber, sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden.

Der Slogan «Check your privilege» hat es auf eine Ihrer vielen Zeichnungen geschafft - mit der ironischen Ergänzung: «It could be mine». Im Hintergrund sieht man ein blass-blaues Alien. Woher rührt Ihr Ärger auf woke Anliegen?

Die Absicht woke zu sein, die ursprünglich aus der Black Community stammt, mag gut und richtig sein. Aber dieser Begriff hat sich komplett entleert, seit er nur noch dazu verwendet wird, um sachlicher oder konkreter Kritik auszuweichen. Mich stört auch, dass er nur auf oberflächliche Merkmale wie die Hautfarbe angewandt wird. Dass ein Barack Obama, der die «Woke»-Bewegung selbst auch kritisiert, tausendmal privilegierter ist als viele Weisse in den USA, darf in diesem Weltbild nicht vorkommen.

Links: der Slogan «Smash the Patriarchy» als Margeret-Thatcher-Zitat. 
Bild: Severin Bigler / CH Media

Ein weiterer Slogan des Feminismus, «Smash the patriarchy», hat auf Ihrer Zeichnung überraschenderweise die britische Ex-Premierministerin Margaret Thatcher gesagt. Wie kam es zu diesem Zitatklau?

Ich habe diesen Slogan sehr bewusst einer Margret Thatcher in den Mund gelegt. Manche linke Feministinnen tun gerne so, als würden Frauen an der Macht per se alles besser machen. Dabei gibt es in der Geschichte viele Beispiele, die diese These widerlegen - die patriarchal auftretende Margret Thatcher ist so ein Beispiel. Aktuelle, noch schlimmere Beispiele sind die Rechtsextremistinnen Marine Le Pen oder Giorgia Meloni.

Der Bewegung LGBT+, diesem Zusammenschluss von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung, haben Sie auf einem Bild das Wort «human»gegenübergestellt. Wo orten Sie das Kommunikationsproblem bei dieser Community?

Mich stören die banalen Kategorisierungen innerhalb dieser übersteigerten Identitätspolitik. Ich habe deshalb das Akronym, das für Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung steht, um Buchstaben aus dem Alphabet ergänzt, die bis jetzt noch nie verwendet worden sind, um eine Randgruppe zu beschreiben. Je mehr Buchstaben hinzukommen - (Halter zeigt auf das Wort «human», das auf der unteren Bildhälfte mit dem weissen Papier fast zu verschmelzen scheint) - desto mehr wird der Mensch als solches ausgelöscht.

Lässt sich ein Mensch überhaupt in eine Kategorie pressen?

Wenn ich etwa meine schwulen Freunde frage, sagen die mir, dass sie kein Interesse daran haben, einen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Es ist ja auch eine ziemliche Anmassung aufgrund eines äusseren Merkmals oder einer Geschlechtsidentität für andere sprechen zu wollen. Schwarze Menschen haben unterschiedliche Ansichten. Dass einzelne von ihnen die Bewegung Black Lives Matter kritisieren, kommt in den Medien nie vor. Für mich ist das eine umgekehrte Form von Rassismus, wenn man plötzlich behauptet, dass Schwarze nur auf diese eine Art denken und zu denken haben, als wären sie nicht zuerst und vor allem auch einfach Individuen.

Die Idee, als homogene Stimme Minderheiten zu vertreten, hat sich ohnehin längst als illusorisch erwiesen. Auch innerhalb des Feminismus ist man zerstritten ...

Radikale Transaktivisten wollen das Wort «Frau» durch den Begriff «Mensch mit Uterus» ersetzen. Gleichzeitig steigern sich die Gegner dieser Aktivistinnen und Aktivisten in eine irrationale Wut. Eine gefährliche, toxische Entwicklung. In den USA sieht man, wohin das führt - in eine gespaltene Gesellschaft.

In Europa scheint mir im Gegensatz zu den USA die Gesellschaft aber noch deutlich fragmentierter.

Aber auch hier sieht man, was passiert, wenn man offensichtliche Probleme wegen ideologischer Verblendung nicht ansprechen will. Vor ein paar Jahren haben alle von Schweden als Vorzeigestaat geschwärmt. Nun zeigt sich, dass die Integration von Migranten teilweise komplett gescheitert ist. Von Linken wie auch von Mitteparteien ist das verdrängt worden, jetzt kommt die Rechnung: Rechtsextreme kommen an die Macht. Das macht mir Angst.

In der Mitte erobern die Buchstaben die Deutungshoheit für sich zurück. Sie skandieren: «We want to be read as letters.»
Bild: Severin Bigler / CH Media

Ihre Ausstellung beschäftigt sich nicht nur mit dem Aktivismus, sondern auch mit dem Kunstbetrieb. Was läuft hier falsch?

Auch in der zeitgenössischen Kunst gibt es einen grossen Anteil an aktivistischer Kunst, die oft genauso in diesem Schwarz-Weiss-Denken gefangen ist. Du siehst an den Kunstausstellungen Slogans, die du sonst auch an Demos antriffst. Mich stört, dass oft nicht nach einer eigene Sprache gesucht wird. Deshalb ist der Titel meiner Ausstellung, «Fuck Slogans», der ja schon selbst ein Slogan ist, auch ein Kommentar auf den Kunstbetrieb. Mich stört, dass diese Werke nur noch in einer bestimmten Weise gelesen werden möchten - in meiner Ausstellung habe ich mir bei einer Arbeit deshalb den Scherz erlaubt, dass die Buchstaben auf dem Blatt Papier einfach nur als Buchstaben gelesen werden möchten.

Ein ironischer Kommentar auf Maurizio Cattelans an die Wand getapte Banane : Jürg Halters erster Lyrikband «Ich habe die Welt berührt» klebt derzeit an der Wand der Galerie Stephan Witschi in Zürich.
Bild: Severin Bigler / CH Media

Sie haben Ihren ersten Gedichtband «Ich habe die Welt berührt» an die Wand geklebt. Ein Versuch, den Lyrik-Diskurs, den Sie jahrelang mitbestimmt haben, in ihre neue Karriere als bildender Künstler herüberzuholen?

Maurizio Cattelan, einer der Topverdiener der Gegenwartskunst, befestigte 2019 an der Art Basel in Miami mit Klebeband mehrere Bananen an die Ausstellungswand. Mein Lyrikband hat sicher mehr Inhalt. Die Banane ist trotzdem teurer. Sie wurde für 120 000 US-Dollar verkauft. Künstlerinnen und Künstler wissen, wie der Kunstmarkt funktioniert. Zu glauben, sie wären in Ihrem Schaffen völlig frei, ist ein Klischee. Ich wüsste sehr gut, wie ich diesen Markt besser befriedigen könnte. Aber ich weigere mich, es zu tun.

Womit?

Gehen wir mal davon aus, was ich alles falsche mache: Falsch ist zum Beispiel, dass ich vielseitig bin. Entweder man ist Autor, Musiker oder bildender Künstler. Erfolg haben vor allem diejenigen, die wie ein Paulo Coelho nach dem immergleichen Rezept Bücher schreiben. Oder wie ein Thomas Hirschhorn Kunst mit Klebeband zu seinem Markenzeichen macht. Das sind aber diejenigen Künstlerinnen und Künstler, die mich am wenigsten interessieren.

Mit Ihren Wortmeldungen in den Sozialen Medien provozieren Sie viel Gegenwind. Wie gehen Sie um mit dieser Kritik ?

Die primitivsten Beleidigungen bekomme ich von anonymen Accounts. Ich habe mich davon bislang nicht beeindrucken lassen. Man sollte nie vergessen: Viele Menschen, die in den sozialen Medien besonders aktiv sind, haben nicht mehr als dieses Ventil. Wenn sie dann über anonyme Accounts sich mit Gleichdenkenden verbinden und mit ihren Posts viel Aufmerksamkeit erhalten, werden sie in ihrem destruktiven Handeln nur bestärkt.

Jürg Halter: «Fuck Slogans». Galerie Stephan Witschi, Zürich. Geöffnet jeweils von Mittwoch bis Samstag (nachmittags). Bis 20. Oktober 2022.

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