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Interview

Komiker Kaya Yanar über die grossen Herausforderungen im Leben: «Die Familie ist meine Lebensaufgabe»

Kaya Yanar konnte sich seine Familie nicht aussuchen, und seine Familie ihn nicht. Der türkisch-deutsche Komiker, der in der Schweiz lebt, macht sich in seinem neuen Programm «Fluch der Familie» über seine Angehörigen lustig – und die lachen herzhaft mit.

Kaya Yanar, waren Sie schon mal beim Psychiater?

Kaya Yanar: Oh, das nenne ich mal eine Einstiegsfrage. Und dann noch von einem Schweizer Interviewer (lacht). Ja, ich war tatsächlich schon mal in einer Sitzung, allerdings bei einem Psychologen. Nach dem Tod meines Vaters musste ich mit jemandem sprechen, um die Trauerarbeit zu begleiten.

Kann eine Bühnenshow die Therapiesitzung ersetzen?

Ein Bühnenprogramm soll die Leute unterhalten und nicht den Künstler therapieren. Wenn es trotzdem eine therapeutische Wirkung entfaltet, liegt es daran, dass die Leute einfach lachen. Und lachen tut gut, auch dem Künstler.

Sie haben keine einfache Jugend gehabt, oder?

Alles ist relativ. Es hätte schlimmer kommen können. Wenn ich denke, wie die Menschen in gewissen Dritte-Welt-Ländern aufwachsen, kann ich zufrieden sein. Aber die Dinge, die mich damals beschäftigt haben, die beschäftigen mich heute noch: das Aufwachsen in einer anderen Kultur, das Familienleben. Jeder hat so eine Art Lebensaufgabe. Und bei mir ist das halt definitiv die Familie.

Gab es etwas zu lachen in Ihrer Familie?

Ja, es war nicht alles nur schwierig. Mein Vater, er starb schon vor längerer Zeit, war ein sehr charismatischer, witziger Typ – wenn er denn gut drauf war. Meine Mutter hat ebenfalls sehr viel Humor. Von ihr habe ich das herzhafte Lachen geerbt. Das war eine Kombination, die mir heute noch hilft.

Versuchen wir konkret zu werden. Fällt Ihnen ein Beispiel ein, wo es etwas zu lachen gab?

Mein Vater war ein vorzüglicher Geschichtenerzähler. Die Mimik und die Ausdrucksfähigkeit habe ich von ihm. Ich erinnere mich, dass ich ihn als Kind ständig fragte, ob er mir eine Geschichte erzählen kann – auch wenn er sie bereits 100-mal zum Besten gegeben hatte. Und dann performte er, legte quasi ein Bühnenprogramm vor. Er schnitt Grimassen, machte komische Geräusche. Dieses Talent habe ich definitiv von ihm. Die Nase leider auch, ebenso den Haarausfall.

Aber er hatte auch ein anderes Gesicht?

Es ist nicht alles schwarz-weiss im Leben. Wenn ich mich auf der Bühne über meine Eltern auf eine lustige Art und Weise echauffiere, dann sind das alles Dinge, die vermeidbar gewesen wären. Zum Beispiel, dass wir nur einsprachig aufwuchsen. «Ich möchte, dass ihr nur Deutsch sprecht», sagte mein Vater. Dabei wäre Zweisprachigkeit gut gewesen. Wir konnten kaum Türkisch, meine Eltern kaum Deutsch. Das führte zu merkwürdigen Situationen, etwa, wenn mein Vater mir Mathematikaufgaben erklären wollte, ich aber nur Bahnhof verstand – aber nicht wegen der Rechenaufgaben, sondern wegen der Sprache. Das war Comedy pur. Diese fängt in einem Spannungsfeld an, wo Menschen und Kulturen sich reiben.

Was Religionen anbelangt, war Ihr Vater offener. Sie wurden in den Religionsunterricht zu den Protestanten geschickt, Ihr Bruder zu den Katholiken. Das ist bemerkenswert.

Und ich weiss bis heute nicht, warum er das tat. Nur dass mein Vater keinen grossen Wert drauf legte, an was wir glauben sollen. Meine Mutter war Muslima – auch das war meinem Vater total egal. Mit unseren verschiedenen Religionen ist unsere Familie die Ausnahme. Ich frage mich oft: Wieso streiten und prügeln und töten sich die Leute aus Religionsgründen?

Musste sich Ihr Vater vor den Verwandten nie erklären, weshalb er die Söhne christlich erziehen liess?

Nein. Die Grossfamilie war schon immer tolerant. Religion war nie ein grosses Thema. Und das finde ich gut.

Erzählen Sie uns noch etwas über Ihren Bruder?

Er ist ein ganz anderer Typ als ich. Mein Bruder ist ein Mathegenie, ich eine absolute Niete. Ich bin romantisch veranlagt, er überhaupt nicht. Ich bin sehr nahe am Wasser gebaut, er nicht. Klar, dass ich mich oft fragte: Was war da eigentlich los, dass wir so verschieden sind? Vielleicht war das Teil einer ­gigantischen esoterischen Übung, um andere Menschen zu verstehen und ihre Ansichten zu tolerieren. Das bringe ich dann auch so auf der Bühne rüber und versuche versöhnlich zu sein. Ziel ist es, dass die Leute im Publikum sagen: «Hey, das sind alles Dinge, die in Familien passieren.» Bei uns, bei Kaya, bei allen.

Wie findet Ihre Familie es, dass Sie Witze über sie reissen?

Meine Mutter sass bei einer Vorstellung in Frankfurt im Publikum. In der Pause kam sie auf mich zu und klagte: «Dreitausend Leute, die sich über mich lustig machen. Eine absolute Unverschämtheit!» Dabei lachte sie ganz laut. Es ist ja auch ein Humorprogramm, keine Abrechnung. Ich würde den Familienfrieden nie riskieren, wenn ich nicht wüsste, dass ich so weit gehen darf. Mein Vater sass oft im Publikum, er war mein grösster Fan.

In Ihrem Bühnenprogramm erzählen Sie, wie die Eltern Sie aufzuklären versuchten. Wie ging das?

Es war sehr unangenehm. In der Jugendsprache würde man «cringe» sagen. Zuerst mühte sich mein Vater ab, er gab aber schon bald auf: «Mir doch wurscht. Rede lieber mit deiner Mutter. Oder sonst wirst du schon irgendwie draufkommen.» Er selber war ja auch nie aufgeklärt worden. Heute bin ich mir nicht sicher, ob die Eltern die Kinder noch selber aufklären oder ob sie ihnen einfach ein Handy in die Hand drücken und sagen: «Hier, schaut doch selbst!»

Wie werden Sie das bei Ihrem Sohn machen?

Wenn es so weit ist, schiele ich auf meine Frau. Ich bin der Kulturminister zu Hause, der für Spass sorgt. Wenn es um Erziehung geht, ist meine Frau am Zug. Wobei sie mich gleich mit erzieht.

Auch über Ihre Frau machen Sie Witze. Gibt Sie Ihnen eine Carte blanche, oder ist sie die Zensurbehörde?

Nein, nein, sie hat sich noch nie beschwert. Sie vertraut mir. Bei allen Witzen, die ich über meine Familie und meine Frau reisse, ist immer eine tiefe Liebe spürbar.

Welche ihrer Marotten bringen Sie auf die Palme?

Meine Frau hat die Angewohnheit, dass sie gerne irgendwas hinter die Türen stellt. Einkaufstüten, Handtaschen, solche Dinge. Und ich stolpere dann darüber. Das mag sich jetzt sehr deutsch anhören – aber wenn man schon etwas abstellt, dann ganz nahe an die Wand. Nicht hinter die Türe.

Was wirft Ihre Frau Ihnen vor?

Sie sagt oft: «Kaya, es ist schwer, dir zu folgen, weil du von einem Thema zum nächsten springst.» Auf der Bühne kann ich das kaschieren. Da nimmt dieses Sprunghafte manchmal epische Ausmasse an. Es kam schon vor, dass ich 50 Minuten lang komplett abschweifte. Die Zuschauerinnen und Zuschauer glauben, ich mache das absichtlich. Meine Frau hingegen lässt mir das bei uns zu Hause nicht durchgehen. Dann sagt sie: «Ich glaube, du hast ADHS, zum Glück die witzige Form.»

Es gibt Komiker, die sammeln Witze, die sie dann im richtigen Moment abrufen. Wie ist das bei Ihnen?

Ganz anders. Ich bin kein Zwangsbespasser, sondern bei mir geschieht alles aus der Situation heraus. Ich bin ein Geschichten-, kein Witzeerzähler.

Und wenn ich Sie trotzdem bitten würde, dass Sie einen Witz zum Besten geben?

Ich würde wahrscheinlich auf Witze zurückgreifen, die Otto bereits vor Ewigkeiten erzählt hat: «Zwei Jäger gehen spazieren. Sagt der eine: ‹Lass mich auch mal in die Mitte.›» Ein absoluter Flachwitz.

Mal sehen, ob ich das Niveau noch unterbieten kann: «Wissen Veganer eigentlich, dass sie in der Milchstrasse leben?»

Ja, der ist ziemlich flach, aber richtig unterirdisch ist dieser hier: «Ich mache keine Witze über Tofu, denn das finde ich geschmacklos.»

Kaya Yanar performte auch schon beim Gurten Festival, etwa 2016.
Bild: Keystone

Zum Abschluss noch ein paar Sätze zum Beenden. Richtig Mühe habe ich…

…mit dem Schweizer Rechtssystem. Zum Beispiel dem Sinn von «Betreibungen». Man betreibt sich gegenseitig, bis der andere einen Rechtsvorschlag macht – dann ist man genau da, wo man vor den Betreibungen stand. Betreibungen treiben nur Geld in die Taschen der Anwälte.

Es haut mir den Nuggi use, wenn...

…ich in der Schweiz Auto fahre. In Deutschland fährt man 130, wenn 100 angeschrieben steht. In der Schweiz 70. Und wenn im Quartier maximal Tempo 30 erlaubt ist, bleibt der Schweizer Autofahrer ganz stehen.

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