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Film/Fotografie

Hommage an Fotograf Thomas Hoepker

Parallel zum Dokumentarfilm "Dear Memories. Eine Reise mit dem Magnum-Fotografen Thomas Hoepker", der am 30. Juni in den Deutschschweizer Kinos startet, zeigt die Bildhalle Zürich eine Retrospektive mit seinen Bildern.
Bild: Keystone/EPA/CARSTEN REHDER

Es ist schwer auszuhalten. "I forgot", ich habe es vergessen, sagt Thomas Hoepker auf die Frage einer Pflegenden, in welchem Jahr wir uns befinden. Welches Jahr glauben Sie denn, dass es ist? "2013? Oder so?" Dem Mann, dessen Fotografien aus den letzten 60 Jahrzehnten zum kollektiven Gedächtnis geworden sind, entschwindet langsam sein eigenes. Thomas Hoepker ist 85 Jahre alt. 2017 erhielt er - einer der bedeutendsten lebenden Fotografen der Welt - die Diagnose Alzheimer.

Nahuel Lopez ("El Viaje") wusste bei seiner Anfrage an Thomas Hoepker, der als erstes deutsches Vollmitglied bei der renommierten Fotografenagentur Magnum aufgenommen wurde, noch nichts davon. 2006 hatte Lopez in Hamburg eine Hoepker-Retrospektive besucht, und sei tief beeindruckt gewesen. "Sein Blick war so frisch", erinnert er sich.

Einen Alzheimerfilm wollte Nahuel Lopez nicht machen. Hat er auch nicht getan. Trotzdem geht der Regisseur das Risiko ein, das Publikum anfangs in eine falsche Richtung zu weisen, denn dieses fragt sich gezwungenermassen: Was kommt jetzt, die Geschichte eines begnadeten Fotografen - oder die Krankheit?

Weder noch, und doch beides: "Es geht um einen Fotografen, der Alzheimer hat" (Nahuel Lopez). Konkret heisst das, Thomas Hoepker und seine zweite Frau, Christine Kruchen, eine Dokumentarfilmerin, unternehmen eine Reise durch das Herz Amerikas, von New York (wo sie leben) bis San Francisco. Ähnlich wie es Hoepker Anfang der 1960er Jahre gemacht hatte. "Heartland" hatte er jenen Roadtrip durch die USA genannt, der auch in Buchform erschienen und neu aufgelegt worden ist.

Die Reise fast 60 Jahre später ist also von Anfang an so etwas wie eine Herzensangelegenheit. Und die beste Therapie, die man ihrem Mann geben kann, ist Christine Kruchen überzeugt. Es wird eine schöne Reise. Auch eine traurige. Hoepker fotografiert viel und vergisst viel. Seine Kamera gibt er nie aus der Hand.

Gutes Bild ist selten

Es war unter anderem tatsächlich eine traurige Ironie, die Lopez den Film überhaupt machen liess. "Die Auslagerung seines eigenen Gedächtnisses hat in Form seines Fotoarchivs stattgefunden", sagt er über den enormen Bilderschatz von Hoepker. Fotografie ist ein Erinnerungsmedium. Die Fotografien, die nebst den Protagonisten durch den Film führen, geben Halt, auch, was die Biografie von Hoepker angeht.

1963 war dieser ein erstes Mal als Fotograf durch Amerika gereist (für die Illustrierte "Kristall"), 1964 bekam er als Fotoreporter für den "Stern" die Möglichkeit, den Boxer Muhammad Ali während zehn Jahren in regelmässigen Abständen zu porträtieren. 1974 ging er mit seiner damaligen Frau als Fotograf nach Ost-Berlin, er bereiste fast alle Kontinente, lichtete Krieg und Elend ab - und immer wieder die Schönheit, selbst wenn er dieser lange misstraute, wie er einmal notierte.

"Ein gutes Bild ist eines, das etwas zu erzählen hat", schreibt Thomas Hoepker auch in einem seiner vielen Essays (aus denen Auszüge zu hören sind). Und ein gutes Bild, erklärt der Magnum-Fotograf, ist selten. Einmal im Jahr gelinge ihm eines. Mehr nicht.

Krankheit im Hintergrund

Thomas Hoepkers Bescheidenheit macht die Person und den Fotografen zugänglich, der niederschwellige Zugang zu Top-Fotografie begeistert gar. Und erst der Humor des Fotografen! Dieser drückt immer wieder durch, im Angesicht von Hoepkers Krankheit ebenfalls eine Stimme, mit der er sich noch ausdrücken kann. "Andere Künstler waren auch schon hier", kommentiert er etwa Graffiti-Comments, offensichtlich Schmierereien, die er irgendwo auf einer Rampe in einer Vorstadt entdeckt. Die verlassenen Backsteinhäuser werfen lange Schatten. Hoepker hebt die Kamera hoch und lässt sie wieder sinken, als ob er vergessen hätte, was er fotografieren wollte.

Die Krankheit ist da - doch sie steht nie im Vordergrund. Nahuel Lopez ist die Kunst gelungen: Ein Porträt von einem Mann zu schaffen, der sich mehr und mehr aus seiner Umgebung löst. "Dear Memories" ist in dem Sinn eine vielschichtige Liebeserklärung. An einen grossen Fotografen, an die Agentur Magnum, an die Fotografie, an die Erinnerung - und an das Leben. Lopez hat ein sehr leises, zärtliches Roadmovie geschaffen, in dem es langsam, aber stetig vorangeht. Wer sich in das Wohnmobil setzt und mitfährt, gewinnt Eindrücke, fast ein bisschen so wie ein Fotograf, und ziemlich oft ist ein gutes Bild dazu.

Und dann? Wohin mit all den Gefühlen? Man muss sie aushalten können. Und wieder können dabei Thomas Hoepkers Bilder helfen. Die aktuelle Ausstellung "Thomas Hoepker – Dear Memories" in der Galerie Bildhalle in Zürich kann als umfassende Retrospektive verstanden werden. Auch hier ist der Einstieg nicht ganz einfach - zu dominant ist "Ali left fist" gleich beim Eingang. Nimm das, scheint Boxer zu sagen, auf der Fotografie ist nur die überdimensionierte Faust scharf.

Wer sich darauf einlässt, den überkommt beim Betrachten der restlichen Bilder - frühe Arbeiten aus den 1960er-Jahren, in denen er die USA bereiste, und jene aus dem New York der darauffolgenden Jahrzehnte - die Ruhe, die sich auch im Film einstellt mit der Zeit. Im oberen Stockwerk der Bildhalle ist Hoepkers - wie er selber glaubt - erstes Bild überhaupt zu sehen: "Woman in snow", Hamburg, 1954. Es zeigt eine alte Frau im Schneegestöber, sie geht gebückt, aber entschlossen und ist in seiner bescheidenen, einfachen Stärke Vorbote dieser unglaublichen Karriere, die auf diese Fotografie folgen wird.

*Dieser Text von Nina Kobelt, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert. (sda)