notifications
#Metoo

Ex-Produzent Harvey Weinstein tritt dieser Tage auf der Leinwand und im Gerichtssaal auf: Wo er welche Rolle spielt

«She Said» rollt die «New York Times»-Recherche auf, die den Hollywood-Mogul zu Fall brachte. Der Film kreuzt sich mit der Realität.

Die Journalistinnen Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) haben Harvey Weinstein zu Fall gebracht.
Bild: Bild: Jojo Whilden/Universal Pictures

Der Mann, der über Jahrzehnte in Hollywood den Ton angab, schweigt. Harvey Weinstein, ehemaliger Produzent, sagte nicht aus, als er 2020 in New York wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung vor Gericht stand. Und er sagt auch jetzt nicht aus, als er sich in Los Angeles wegen weiteren, brisant prominenten Anklagen vor Gericht verantworten muss.

Jennifer Siebel Newsom, Filmemacherin, Schauspielerin und Frau des eben wiedergewählten kalifornischen Gouverneurs ist eine der vier Klägerinnen. In New York wurde der Film-Mogul zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt, trotzdem hofft Weinstein auf einen Freispruch. Die Übergriffe, der Sex, sei einvernehmlich, gar als Teil eines «Handels» geschehen: «Glauben Sie, diese hübschen Frauen haben mit ihm geschlafen, weil er attraktiv ist? Nein, sie haben das getan, weil er mächtig war», plädiert Weinsteins Anwalt.

Es ist ein Statement, wie aus einer anderen Zeit. Die «Casting-Couch», das Klischee, des sich hochschlafenden Nachwuchssternchen sind Relikte, die – zu Recht – in den Mottenschrank verbannt wurden. Harvey Weinstein und vor allem die Frauen, die sich gegen ihn zur Wehr setzten, haben einen erheblichen Teil dazu beigetragen.

Gutes Timing: Der Film erhält seine Fortsetzung im Gerichtssaal

Wie es so weit gekommen ist, zeigt der Film «She Said», der nächste Woche in den Kinos startet. Der Film der deutschen Regisseurin Maria Schrader («Unorthodox») erzählt die Geschichte der zwei «New York Times»-Journalistinnen Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan), die den Weinstein-Skandal aufgedeckt und mit ihrer Recherche die #Metoo-Bewegung angestossen haben. Der Kinostart kreuzt sich mit den Verhandlungen in Los Angeles: auf der Leinwand die Vorgeschichte, im Gerichtssaal ihr Resultat. Für den Film könnte das Timing nicht besser sein, der Prozess gibt dem Anliegen eine neue Dringlichkeit.

Harvey Weinstein beim aktuellen Prozess in Los Angeles. 
Bild: Bild: Etienne Laurent/EPA

Schrader hat aus den Erfahrungen der zwei Investigativ-Journalistinnen einen leisen Thriller gemacht. Während zwei Stunden setzen sie Puzzleteil um Puzzleteil zusammen, sehen die Geschichte ein immer grösseres Ausmass annehmen. Die Vorlage liefert das gleichnamige Sachbuch, das Kantor und Twohey 2020 zu ihrer Recherche veröffentlicht haben.

Bis die Erste das Schweigen bricht

Und diese beginnt mit nicht viel mehr als ein paar Gerüchten. Es ist 2017, in den Monaten zuvor machte eine Recherche der «New York Times» sexuelle Belästigung bei Fox News publik. Nun sollte es Hollywood treffen.

Nachdem Ashley Judd (überraschend gespielt von Ashley Judd selbst) mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit trat, beginnen Kantor und Twohey an der Mauer des Schweigens zu kratzen, die Weinstein und seine Produktionsfirma Miramax sorgfältig – und teuer bezahlt – aufgebaut haben. Bis diese erste Risse bekommt, werden Telefonate abgebrochen und Türen zugeschlagen. Die Betroffenen werden beschuldigt, sie hätten sich nur auf der Karriereleiter «hochschlafen» wollen – es sind dieselben Argumente, wie sie heute vor Gericht zitiert werden. Was den Journalistinnen zunächst fehlt, sind handfeste Beweise.

Journalisten sind (leider) keine Superhelden

Seit man in Zeitungsredaktionen nicht mehr rauchen darf, ist Journalismus kein fotogener Beruf mehr. Auch wenn dies seit dem oscarprämierten Journalisten-Film «Spotlight» diverse Kinostarts wie zuletzt «Tausend Zeilen» über den Skandal um Ex-Spiegel-Reporter Claas Relotius behaupten. Journalisten sähen sich gerne als Helden, doch leider gibt es im Alltag kaum James-Bond-ähnliche Beschattungen, dafür sehr viel Schreibtischarbeit und mühseliges Klinkenputzen. Von beidem gibt es in «She Said» viel zu sehen, romantisiert wird hier nicht.

Im Fall von Jodi Kantor und Megan Twohey zahlt sich die Hartnäckigkeit aus. Nach und nach gelingt es ihnen, betroffene Frauen, Schauspielerinnen, Produktionsassistentinnen, und schliesslich auch ehemalige Mitarbeiter von Miramax zum Reden zu bringen. Es sind immer wieder dieselben Geschichten, die Hotelzimmer, der Bademantel, die Massagen: «Weinstein hat mir meine Stimme genommen, bevor ich sie selbst finden konnte», sagt eine Frau, deren Karriere nach dem Zusammentreffen mit Weinstein endete. Die Betroffenen, tatsächlich anfangs nur Stimmen am Telefon oder auf Tonband, bekommen im Laufe der Recherche ein Gesicht, Harvey Weinstein hingegen bleibt ein Hinterkopf.

Obwohl die Tatsachen bekannt sind, hält die Spannung zum Schluss, bis die Journalistinnen auf «Publish» – «Veröffentlichen» – klicken. Nur einmal entlädt sie sich mit einem leidenschaftlichen «Fuck you», als ein Bargast eine anzügliche Bemerkung macht. Es ist ein harmloser Moment, beliebig, von jeder Frau x-Mal erlebt. Aber irgendwann ist eben einmal zu viel. Rund 80 Frauen geben nach der Veröffentlichung des Artikels an, von Harvey Weinstein bedrängt worden zu sein. Am Gericht in Los Angeles werden vier davon verhandelt. Das letzte Wort ist dabei noch nicht gesprochen, auch gegen das Urteil von 2020 in New York kann Weinstein noch in Berufung gehen. «She Said» kommt zum richtigen Moment.

«She Said»: Ab 8. Dezember im Kino.

Kommentare (0)