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«Ein Bundesrat in Frauenkleidern wäre modisch!» – Fashionfotograf Peter Knapp befreite die Frauen vom Herd  

Der Schweizer Modefotograf Peter Knapp war hinter der Kamera, als Frauen in der Mode den grossen Schritt in die Selbstständigkeit machten. Er  fotografierte unter anderem für «Elles» und «Vogue», die Fotostiftung Schweiz zeigt seine Bilder. Ein Gespräch über krawattierte Moderatoren und Wegwerfmode.  

Peter Knapp und ein futuristischer Mode-Shot mit Weltraumallüren; in der Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur.
Bild: Peter Knapp/Fotostiftung Schweiz

Wenn Sie mit dem Blick des Modefotografen durch Ihre Stadt Paris gehen, was fällt Ihnen auf?

Peter Knapp: Es gibt zu viele zu schwere Leute. Wobei, in New York ist es noch schlimmer.

Heisst das, übergewichtige Menschen können nicht modisch sein?

Wenn sich jemand in seinem Körper nicht wohl fühlt, hat er oder sie kaum die Ambition, modisch zu sein. Man versteckt eher seinen Körper, was man aber auch ganz lustig machen kann. Dann geht es weniger um den Körper als Ganzes, sondern er wird durch die Bekleidung zu einer Skulptur. Und trotzdem ist man als Persönlichkeit gegenwärtig.

Ist Paris noch eine Stadt der Mode?

Ich sehe grundsätzlich sehr wenig Mode, aber viel zu viel Bekleidung. Kleider werden in Afrika ins Meer gekippt. Wie kann man ein T-Shirt für fünf Franken produzieren? Heute folgen Menschen mit Geschmack keinem bestimmten Trend mehr, sie haben ihren eigenen Stil. Der letzte grosse Kreateur, der in den 60er-Jahren alles umwarf, war André Courrèges.

Der Erfinder des Minirocks?

Ich arbeitete 1965 in der «Elle», die ganze Nummer war schon in der Druckerei, als die Journalistinnen von der Modeschau zurückkehrten und forderten, für Courrèges zehn Seiten leerzuräumen. Er war der Erste, der die Damenmode mit der Idee des Bauhauses verband: Kleidung muss funktionell sein! Die Frau soll frei sein! Nichts Enges um die Taille, Hosen für den grossen Schritt, keine langen Röcke mehr, damit sie die Hände frei hat. Strümpfe mit Strumpfhaltern verschwinden, es gibt Strumpfhosen – oder nichts. Für mich war das eine Revolution!

Peter Knapp für die Strumpfmarke 'Dim', Paris 1968.
Bild: Peter Knapp/Fotostiftung Schweiz

Findet ein Modefotograf, der die Frau als Geheimnis inszenieren soll, die realistische Frau ­spannend?

Die Frauen fanden das vor allem spannend! Wir begannen in «Elle» Frauen auf dem Velo zu fotografieren oder Frauen, die im Trainingsanzug durch den Wald laufen. Das hiess: Jede Frau kann das, hier ist das Bild. Als Fotograf war man nicht nur Zeitzeuge einer Kleidung, man machte auch Vorschläge für einen Lebensentwurf: Die Frau soll sich zeigen können, wie sie will!

Die Sechzigerjahre waren auch die Zeit der ersten Magermodels wie Twiggy. Sie hatten keine Bedenken, magersüchtige Models zu fotografieren?

Models waren schon immer dünn, aber sie waren viel kleiner als heute und selten grösser als 1,70 Meter. Mit dem Aufkommen des Prêt-à-porter nahm man dann Mädchen mit sehr langen Beinen, Veruschka war über 1,90 Meter gross. Lange Beine geben schönere Bilder. Der Leerraum eines langen Körpers bringt eine Bekleidung besser zur Geltung.

Die amerikanische Starfotografin Annie Leibovitz hat kürzlich die ukrainische First Lady Olena ­Selenska für die «Vogue» fotografiert. Welche Botschaft steckt dahinter?

Ich erinnere mich nicht an das Bild. Die Seiten von «Vogue» sind ja alle gekauft. Wenn die Marke Prada ein Inserat schaltet, bekommt sie als Gegengeschäft ein Bild von einem bekannten Fotografen, der dann für die «Vogue» ein Prada-Kleidungsstück fotografiert. Im redaktionellen Teil oder auf dem Cover wie Selenska wird dann aktuelle Prominenz gezeigt.

Was sagen Sie zur heutigen Mode?

Frauen sind meistens gut angezogen. Männer sauber. Doch wenn das Denken funktionell wird, dann gibt es ja keine Mode mehr. Ich meine, ein Rennvelofahrer ist zu 100 Prozent funktionell gekleidet, doch sein Outfit ist nicht unbedingt die vorteilhafteste Bekleidung für einen Mann. Umgekehrt: Der Badeanzug einer Frau ist nicht unbedingt die beste Bekleidung für jede ­Situation. Wenn man die Idee der Kleidung als Funktion weiterdenkt, endet man bei einer Uniform. Zudem herrscht heute eine grosse Angst: Wer würde es wagen, wie in den Sechzigerjahren nackt auf die Strasse zu gehen? In den Pariser Restaurants sassen Frauen oben ohne beim Essen!

Stichwort Uniform. Wir hätten alle Freiheiten zwischen Trends, Farben und Formen, doch wir tragen alle fast dasselbe. Ob Mann oder Frau, Jeans, Pullover, Schwarz, Dunkelblau oder Grau – wieso?

Menschen müssen eine Ambition und genügend Persönlichkeit haben, anders aussehen zu wollen als die meisten. Angst verunmöglicht das. Ich sehe eine modische Ambition heute vor allem an den Schuhen. Es gibt Frauen, die bezahlen dafür sehr viel. Doch die Marke ist wichtiger geworden als der Look. Und: Jugendlich zu wirken, ist vorrangiger, als chic zu wirken!

Peter Knapp für die 'Vogue', London 1970.
Bild: Peter Knapp/Fotostiftung Schweiz

Mode war früher auch ein politisches Instrument. Im religiösen Islam bestimmen Herrschende bis heute, wie ihre Untertanen, Frauen, auszusehen haben ...

Der Kampf der Iranerinnen ist grossartig, sie kämpfen gegen das Mittelalter. Als ich 1970 in Afghanistan war, gingen alle Mädchen zur Schule, trugen kurze Kleider und nichts auf dem Kopf. Mit Blick auf uns könnte man allerdings auch sagen: Auch das weisse Hemd und die Krawatte zeigen, der Träger ist ein wenig Untertan.

Der krawattierte «Tagesschau»-Sprecher ein Dienstleister im Solde der Institution SRF?

Genau, und der im Rollkragenpullover wagt, dass man ihm sagt, er sei liberal.

Möchten Sie dem Bundesrat zum Schluss Stilnoten geben?

Nein. Die Damen und Herren kleiden sich anständig und traditionell. Aber das Wort Mode hat damit nichts zu tun. Würde sich ein männlicher Bundesrat in einem Frauenkleid zeigen, dann wäre er mutig und modisch inspiriert.

Peter Knapp: Mon temps, Fotostiftung Schweiz, bis 12.2.23. Galerie Maeght Paris, bis 15.12. Publikation bei Scheidegger & Spiess.

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