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Ausstellung

Die wilden 1920er Jahre im Kunsthaus Zürich

"Schall und Rauch. Die wilden Zwanziger" heisst eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich, die heute (Freitag) beginnt. Sie widmet sich einem der experimentierfreudigsten Kapitel der Kunstgeschichte.
Eine neue avantgardistische Formensprache in den 1920er Jahren: Das Kunsthaus Zürich zeigt in der Ausstellung "Schall und Rauch. Die wilden Zwanziger" die Experimentierfreude und Aufbruchstimmung dieser Epoche.
Bild: Keystone/ENNIO LEANZA

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte in den schnell wachsenden Metropolen mit der Expansion der Technik, der rasanten Industrialisierung und der Massenproduktion eine allgemeine Beschleunigung ein. Die von ungeheurem Tempo begleitete Dynamik widerspiegelte sich auch in der Kunst und in der Gesellschaft.

Die traditionellen Geschlechterrollen wurden kritisch hinterfragt, Minderheiten begannen sich zu manifestieren. Die "Neue Frau" zog die Aufmerksamkeit mit Bubikopf, Sportlichkeit und Schlankheitsideal auf sich - vor allem aber mit einem Selbstbewusstsein als Ausdruck zunehmender Emanzipation.

Das Jahrzehnt der Frau

Im kulturgeschichtlichen Rückblick war die Zeit von 1910 bis 1920 das expressionistische Jahrzehnt, das folgende Dezennium kann als das Jahrzehnt der Frau bezeichnet werden.

Künstlerinnen wie Jeanne Mammen oder die aus Berliner Dadaisten-Kreisen hervorgegangene Hannah Höch prangerten gesellschaftliche Missstände an. In Collagen und Ölbildern - darunter "Die Journalisten" (1925) - entwickelte Höch eine neuartige Ästhetik.

Die Sängerin und Tänzerin Josephine Baker begründete mit ihrer legendären "Revue Nègre" 1925 in Paris einen modernen Show-Stil. Sie führte den Charleston ein und wurde als "Schwarze Venus" zum ersten Sexsymbol des 20.Jahrhunderts. Den Tanz revolutionierte damals auch die Schweizerin Suzanne Perrottet.

Internationale Vernetzung

Das in Weimar gegründete Bauhaus löste den Expressionismus durch konstruktivistische Kunst und einen sachlichen Funktionalismus ab. Das Neue Bauen von Architekten wie Le Corbusier oder Mies van der Rohe schuf ebenso wie das vom Fotografen und Maler Moholy-Nagy geforderte Neue Sehen eine avantgardistische Formensprache. Als Rückfall mag die Neue Sachlichkeit eines Otto Dix oder Christian Schad gelten.

"Schall und Rauch. Die wilden Zwanziger" vereinigt die wichtigsten Kunstströmungen jener Zeit mit Fokus auf die Städte Berlin, Paris, Wien und Zürich in unterschiedlich farbigen Räumen. Gezeigt werden rund 300 Werke von 80 Künstlerinnen und Künstlern. Den Inhalt bringt Kuratorin Cathérine Hug auf den Punkt: "Die 1920er-Jahre waren ein Jahrzehnt der Aufbrüche und Rückfälle. In keinem Moment des 20. Jahrhunderts war die Sehnsucht der Menschen nach Neuerungen so gross wie damals."

In der mit vielen Meisterwerken - etwa von Brancusi, Hans Finsler, Kandinsky, Klee, Léger, Francis Picabia, Man Ray, Hans Richter, Kurt Schwitters und Marianne (My) Ullmann - bestückten Schau zeichnet sich eine erst im Nationalsozialismus erloschene Aufbruchstimmung ab. Diese zieht sich als roter Faden durch verschiedene Kunstrichtungen wie Malerei, Skulptur, Zeichnung, Grafik, Collage, Fotografie, Design und Mode, lässt sich aber in der Sektion "Arbeitswelt und Freizeitgestaltung" auch in der Architektur ablesen.

Brückenschlag zur Gegenwart

Mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern wie Alexandra Navratil, Shirana Shabbazi, Veronika Spierenburg oder Thomas Ruff, die sich mit den 1920er Jahren auseinandersetzen, stellt die grandiose Schau einen Bezug zur Gegenwart her.

In die umfangreich dokumentierte Pariser Modewelt der "Années folles" mit einem bezaubernden Tanzkleid von Gabrielle (Coco) Chanel und einem ebenbürtigen Abendkleid von Paul Poiret platzt das farblich schrille "Portrait" (2014) von Nicolas Party hinein.

Die bahnbrechende Mode verdankt ihre starke Präsenz in der Schau der Zürcherischen Seidenindustrie Gesellschaft, die das Ausstellungsprojekt massgeblich unterstützt hat.

Als besondere Vorzüge der Ausstellung, die im nächsten Jahr im Guggenheim Museum Bilbao gezeigt wird, sind die Sichtbarmachung und Aufwertung jener Kunst hervorzuheben, die von lange unterschätzten, oft auch unterdrückten Frauen geschaffen wurde. (sda)