notifications
Schauspielhaus Zürich

Artensterben: Im Jahre 2058 ist es vorbei mit dem Homo sapiens

Regisseur und Co-Intendant Nicolas Stemann holt in seiner Uraufführung Elfriede Jelineks Monolog der Sonne schmerzhaft
auf die Erde.

«Das alles ist mein Werk», kommentiert die Sonne.
Bild: zvg

Auf der Weltnaturkonferenz in Montreal diskutieren derzeit fast 200 Staaten, ob sie den Artenschwund stoppen wollen. 30 Prozent der Land- und Meeresflächen könnten unter Schutz gestellt werden. Aber wie stark der ausfallen soll, darüber wird gestritten. Die Berichterstattung ist einhellig: Während sich Länder wie die Schweiz oder Deutschland als Klimaretter aufspielen, macht ein genauerer Blick klar, dass sie ihre Hausaufgaben nicht einmal im eigenen Land erfüllen. «Beim Schutz der Artenvielfalt hinkt die Schweiz hinterher», titelte etwa die NZZ.

Und das einen Tag vor der Premiere von «Sonne, los jetzt!». Nicolas Stemann, Regisseur des Abends und Co-Intendant des Hauses, liest Elfriede Jelineks Werk im Zürcher Pfauen als Untergangsszenario. «This is how the world ends», rezitiert eine Stimme das Poem «Hollow Men» von T. S. Eliot, «not in a bang, but in a whimper.» Die Welt ende nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln.

Dann ist minutenlang nur die Stimme von Karin Pfammatter zu hören, sie selbst kaum im Hintergrund zu sehen, wie sie den Monolog, den Jelinek der Sonne in den Mund legt, ins Mikrofon spricht, ruhig, konzentriert, erhellend. Es ist ein typischer Jelinek-Text, lange, mäandernde Sätze, die beim Vorlesen widerwillig ihren Sinn freigeben. Aber weniger Kalauer, weniger Wortspiele, mehr Trauer.

«Sonne, los jetzt!» und das mit ihm zusammen veröffentlichte «Luft», aus dem Stemann Passagen entnimmt, drehen sich, um den Widerspruch zwischen Fruchtbarkeit und Furchtbarkeit, den die Sonne verkörpert, zwischen Helligkeit und Verbrennen, zwischen Tag und Nacht, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit des Lebens, der Erde.

Langsam schälen sich Silhouetten aus dem Dunkel, schwarze Gestalten, selbst ihr Gesicht verdeckt eine Maske. Zur Unkenntlichkeit von der Sonne verbrannt. «Es ist zu spät», konstatieren sie. Sie haben versagt; das haut ihnen auch Greta Thunberg mit ihrer Rede auf der UNO-Klimakonferenz um die Ohren. «How dare you?», wie konntet ihr es wagen, nichts zu ändern?

Moment mal, ist das hier nicht eine Stemannsche Jelinek-Uraufführung? Hat dieser Regisseur nicht schon neunmal aus den beinahe brutal wirkenden Textflächen überraschend komische, fast klamaukige Inszenierungen kristallisiert? Da kommen unter den düsteren Kostümen – ein Reissverschluss kehrt innen nach aussen – helle, funkelnde Röcke zum Vorschein (Kostüme Katrin Wolfermann).

Ab sofort teilen die sechs grossartigen Darsteller den Text untereinander auf. Gespielt wird unter einer riesigen, im Laufe des Abends immer stärker lädierten Sonne, die bald zum Schadensfall erklärt und mit gelbschwarzem Plastikband grosszügig abgesperrt wird (Bühne Katrin Nottrodt).

Auf dieser Baustelle spielt sich das Elend der untätigen Menschheit ab: Eine Dame frönt dem Sonnenbad und ertrinkt in den Wellen. Ein Gletscher, stolz gekrönt mit Schweizer Fahne, schmilzt in sich zusammen. Drei Damen wünschen sich Fernreisen «an die Sonne» und zerreissen sich die Mäuler über die Bademode der anderen. Dazu kommentiert die Sonne: «Das alles ist mein Werk.» Karin Pfammatter, mit Freiheitsstatuen-ähnlichem Strahlenkranz auf dem Kopf, nippt an der Kaffeetasse und raucht schmauchend ihre E-Zigarette.

Das letzte Wort hat eine Computerstimme

Ja, jetzt wagt der Abend den Tanz zwischen höchstem Ernst und Dinner-for-One-Stolperwitzen, Improvisationen mit Publikum inklusive. Doch fordert solche Abstürze und Aufstiege auch der Jelineksche Text, der sich in Wittgensteinsche Höhen und kalauernde Niederungen wagt, aber vor allem verzweifelt und vergeblich versucht, die Menschen aus der Lethargie zu wecken.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Tiere sterben aus. Der Königspinguin 2020, der Feldhamster und der Rotfuchs 2022. Die Liste geht weiter, unaufhaltsam. Der Berggorilla 2024, der Eisbär 2025. Homo sapiens 2058. Das Ende? Nein. Der Rauhaardackel 2059, das Hausschwein 2060. Das Ende? Nein. Denn 2070 kommt der Orang-Utan, 2075 der Königspinguin wieder. Der Mensch hat die Erde ausgemessen, kartografiert und sich verabschiedet. Das letzte Wort hat nicht er, sondern eine Computerstimme, die Jelinek-Texte vorliest. Sie gibt sich redlich Mühe. Allein: Verständlich ist sie nicht.

Es muss nicht so kommen. Aber es ist möglich. Stemann und sein Team zeigen eine Arbeit, die zuweilen Werkstattcharakter hat. Man könnte ihr Zerfaserung vorwerfen, würde nicht mit äusserst theaterspezifischen Mitteln durchgehend die düstere Zukunft der Erde beleuchtet, die Jelinek aus der distanzierten Sicht der Sonne erzählt und die Stemann schmerzhaft nahe zu uns heranholt.

Kommentare (0)