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50. Todestag von Mani Matter

Die Mundart-Pioniere Polo Hofer und Toni Vescoli wollten nichts mit Mani Matter zu tun haben

Der Biedermann und die Brandstifter: Der Berner Troubadour wurde immer wieder falsch interpretiert. Polo Hofer & Co. wollten zunächst nichts mit Mani Matter und den Berner Troubadours zu tun haben. 

Rumpelstilz mit Polo Hofer, Schifer Schafer, Hanery Amman, Küre Güdel (v.l.) und Milan Popovich (liegend). 
Bild: Bild: Archiv Mumenthaler

Auch 50 Jahre nach Mani Matters Tod werden jährlich mehrere Tausend Exemplare von «I han es Zündhölzli azündt» verkauft. Das Doppelalbum, das seit 299 in Wochen in der Schweizer Hitparade platziert ist, steht heute in fast jeder Schweizer Plattensammlung. Der Berner Troubadour ist heute im öffentlichen Bewusstsein wie kein zweiter Schweizer Künstler der Schweizer Zeitgeschichte. Geschätzt und bewundert von allen.

Das war nicht immer so. Die Pioniere des Schweizer Mundart-Pop und Mundart-Rock, die ab 1971 auf Dialekt setzten, distanzierten sich damals ausdrücklich von Matter. Für Toni Vescoli hatte das vor allem musikalische Gründe: «Ich stand auf amerikanische Musik. Das französische Chanson à la George Brassens klang für mich altmodisch und somit auch Mani Matter.» Vescoli wie Polo Hofer und Rumpelstilz orientierten sich an den amerikanischen Musiktraditionen und punkto Lyrics war Bob Dylan ihr Leuchtstern.

Für Toni Vescoli klangen die Berner Troubadours veraltet.
Bild: Ullstein Bild Dtl. / ullstein bild

Für Polo Hofer und die Berner Non-Konformisten, die damals in der berüchtigten Kommune an der Junkerngasse 37 in Bern lebten, fehlte Matter der Groove der Gegenkultur, das Rebellische. Der Rechtskonsulent der Berner Stadtregierung wurde als Teil jenes Establishments wahrgenommen, gegen das sich die aufrührerische Rock- und Popfraktion auflehnte.

Für Polo Hofer, Sänger der Rumpelstilz, war Mani Matter ein Teil des Establishments.
Bild: Ueli Frey

Tatsächlich unterschied sich Mani Matter in Herkunft, Lebensstil und Aussehen deutlich von den damaligen Hippies. Mani Matter wuchs in einem sogenannt «besseren», traditionell freisinnigen Berner Haus mit Dienstmädchen und Angestellten auf. Man sprach mit den Kindern Französisch und Kultur, notabene die Hochkultur, spielte im Hause Matter eine herausragende Rolle: Klassische Musik, Kunst und Architektur, Theater, aber vor allem Dichtung und Literatur. Bei den Matters regierten Geld und Geist.

Als die Rockmusik in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre die Schweiz erreichte, war Mani Matter schon Doktor der Jurisprudenz und steuerte auf eine Professur zu. Obwohl nur sechs Jahre älter als Vescoli und neun Jahre älter als Hofer war er schon dreifacher Vater und lebte ein bürgerliches Leben. Er selbst äusserte sich erstaunt, «wie brav er den bürgerlichen Idealen seines Vaters nacheiferte». In ihm brütete aber stets der Traum einer Künstlerexistenz. «Schreiben als alltägliche Geisteshaltung ist mein Wunschtraum seit langem», schreibt er in seinen Tagebüchern. Von ständigen Selbstzweifeln geplagt, gefangen zwischen seinen Talenten und dem «Räderwerk der bürgerlichen Notwendigkeiten», fehlte ihm jener Mut, jene Radikalität und Kompromisslosigkeit, die die damalige Rock-Jugend auszeichnete.

Matter erkannte den gesellschaftlichen und institutionellen Reformstau

Für die aufbegehrende Jugend war der stets korrekt gekleidete und frisierte Matter das Antibild eines Rebellen oder Revolutionärs. Erst recht für die Junkerngasse 37. Matter, der sich damals in der Gruppe «Junges Bern» engagierte, war ihnen politisch zu angepasst. Tatsächlich verabscheute dieser jeglichen Aufruhr und lehnte Marx vehement ab. Politisch und weltanschaulich hätte es aber durchaus Berührungspunkte gegeben. «Die Bewegung, der ich mich anschliessen würde, wäre auch Anti-Establishment, käme auch mit bürgerschreckenden Forderungen, aber nicht im Namen Marxens», schrieb er.

Matter erkannte den gesellschaftlichen und institutionellen Reformstau. Er hatte Verständnis für die Anliegen der Jugendbewegung und der Hippies. «Der Liberalismus ist in der Schweiz seit dem letzten Jahrhundert gründlich verloren gegangen. Heute machen alle in die Hosen vor Angst», schrieb er und beklagte den Trend zur Uniformität. Das Individuelle werde «nicht als das Einmalige, sondern als das Abnormale» empfunden.

Mani Matter wurde immer wieder falsch interpretiert und falsch dargestellt. Für die einen war er der brave, anständige Värslischmid, der von einer freundlichen, heilen Welt erzählte. Für die anderen ein singender Spiesser und Hätschelkind der Bourgeoisie. Beides falsch. Von der konservativen, bürgerlichen Schweiz wurde er vereinnahmt und dargestellt als einer, der sich dem Allotria von Beat, Pop und Rock widersetzte. Dabei liebte Matter Jazz – und vor allem die Beatles.

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