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Theater

"Alles in Allem" als Zürcher Theaterreise

Kurt Guggenheims Zürcher Roman "Alles in Allem" aus den 1950er Jahren wird auf einer Theaterreise neu erzählt. Ein Gespräch mit dem Gesamtleiter Peter Brunner, dem künstlerischen Leiter Wolfgang Beuschel und dem Szenografen Markus Schmid.
Der Roman "Alles in Allem" von Kurt Guggenheim wird am 11. Mai 2019 in Zürich und Schlieren inszeniert. Gesamtleiter Peter Brunner (2.v.l.), der künstlerische Leiter Wolfang Beuschel (r), der Szenograf Markus Schmid (2.v.r.) und Remo Schällibaum (l) vom Belltree Tower in Schlieren posieren vor diesem Turm im Gaswerk Schlieren.
Bild: Bernhard Fuchs

ch-intercultur: Was erwartet das Publikum auf der Theaterreise?

Peter Brunner: Wir erzählen an acht Orten in Zürich und Schlieren 50 Jahre Geschichte der Stadt Zürich, von 1900 bis 1950. Einer Stadt, die sich in dieser Zeit stark verändert und ausgedehnt hat. Im Mittelpunkt steht das städtische Leben: Menschen, soziale Milieus, Häuser, Plätze, technische Entwicklungen und vieles mehr. Der Roman ist voller Lokalkolorit und schildert minutiös Geschehnisse und persönliche Entwicklungen, "Alles in Allem" eben.

ch-intercultur: "Alles in Allem" ist als zyklischer Roman angelegt. Was heisst das?

Brunner: Guggenheim wurde 1896 geboren und veröffentlichte den vierteiligen Roman 1952 bis 1955. Die Zeit dazwischen hat er wie ein Historiker periodisiert, also in Phasen unterteilt.

Wolfgang Beuschel: Am Paradeplatz ruft ein Verkäufer der NZZ Ende Juni 1914 das Attentat von Sarajevo aus. In diesem Moment ändert sich im Buch die Stimmung in der Stadt Zürich radikal. Solche Brüche tragen wesentlich dazu bei, dass das "Alles in Allem" als zyklisch zu bezeichnen ist.

Brunner: Es ist ein Buch, das die Entwicklung Zürichs stark über Stimmungen schildert.

ch-intercultur: Peter Brunner, Sie haben das Sogar Theater in Zürich von 1998 bis 2018 geleitet und vorwiegend kurze szenische Stücke programmiert. Und nun lassen Sie einen 1000seitigen Roman erzählen. Die Theaterreise dauert zwölf Stunden. Weshalb diese Herausforderung?

Brunner: Sie lohnt sich. Der Roman ist historisch und aktuell zugleich. Er hat auch eine utopische Seite und weist in die Zukunft. Guggenheim zeigt, wie eine ideale Stadt funktionieren, wie sie sich entwickeln könnte. Der Roman macht Hoffnung, erweitert den Horizont und fördert den Perspektivenwechsel. All das hat mich interessiert. Daraus können wir lernen.

Beuschel: Im Übrigen gehören die Müdigkeit und Erschöpfung zum Konzept. Das matte Halbwachsein führt zwischendurch zu traumwandlerischen Sequenzen. Wir bieten einen Theatertrip der ganz speziellen Art. Wichtig sind mir Menschlichkeit und Toleranz im Roman. Er ist ein Aufklärungsbuch über respektvolles Zusammenleben. Die Personen, so unterschiedlich sie sind, lassen den anderen die Freiheit, sich selbst zu bleiben.

ch-intercultur: Wie ist der Theatertext entstanden?

Brunner: Ich habe eine erste Strichfassung vorgelegt, die ich dann mit Wolfgang Beuschel nochmals reduziert habe. Wir erzählen den Romanentlang von Einzelpersonen und Familien. Das Publikum soll den Geschichten folgen können. Dazu braucht es auch Erholung. Wir haben deshalb an einzelnen Standorten, zum Beispiel in Schlieren, längere Spielpausen eingeplant.

ch-intercultur: Sie versprechen die Schilderung einer unbekannten Stadt. Was heisst das?

Brunner: Die Orte wie die Kaserne, das Seewasserwerk Moos oder das Gaswerk in Schlieren kennt man von aussen. Besuchen kann man sie nur in seltenen Fällen. Wir öffnen sie und geben dem Publikum die Möglichkeit, eine andere, eine unbekannte Stadt kennenzulernen. Wertvoll ist dieser Aspekt vor allem dann, wenn der Ort wie das Gaswerk im Roman eine wichtige Rolle spielt. So gibt es eine Wechselwirkung zwischen Geschichte und Gegenwart.

Remo Schällibaum vom Belltree Tower in Schlieren: Hier im Gaswerk wurde bis 1974 Gas produziert. Betriebseröffnung war 1898.

Beuschel: Ja, der Roman und natürlich Spielorte wie dieser öffnen die Augen für die Geschichte. Gestern und heute geraten in ein kreatives Wechselspiel. Und das regt auch dazu an, über die zukünftige Entwicklung der Stadt nachzudenken.

ch-intercultur: Sie sprechen auch von einer Gedankenreise.

Markus Schmid: Wir bespielen Räume mit starker Atmosphäre. Unsere Eingriffe sind minim, beschränken sich etwa auf den Einbezug von Gegenständen, Gerüchen, Geräuschen und Materialien, die Erinnerungen wachrufen. Die Räume unterstützen die Gedankenreisen in den Köpfen der Zuschauer, sind so authentisch, dass die Zuschauer den Link zum historischen Roman problemlos herstellen können. Schon während der Fahrt zu den Standorten kommt das Publikum immer wieder an Orten vorbei, die im Roman eine Rolle spielen. Die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart ist während der ganzen Theaterreise gewährleistet.

ch-intercultur: Wie wird inszeniert?

Beuschel: Wir haben 19 Schauspielerinnen und Schauspieler, viele von ihnen haben mit Peter Brunner im sogar theater zusammengearbeitet und die Regisseure Katja Langenbach, Buschi Luginbühl, Daniel Wahl und Klaus Henner Russius eingeladen, je einen Teil der Reise zu inszenieren. In der Gestaltung der jeweiligen Stationen sind die Regisseure frei. Die einzelnen Passagen verbinden sich durch die Auftritte des Musikers Martin Schumacher. Wir alle arbeiten daran, die Sprache Guggenheims in unserer Leseinszenierung zum Klingen zu bringen.

"Alles in Allem 2019 - Eine Theaterreise" hat am 11. Mai Premiere. Weitere Aufführungen bis 30. Juni. www.alles-in-allem-zuerich.ch.

Verfasser: Karl Wüst, ch-intercultur (sda)