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Grossbritannien

Streit um britische Geschichte

In einem Streit um die britische Kolonialgeschichte hat ein Historiker der Regierung in London Doppelmoral vorgeworfen. "Einerseits kündigt die Regierung an, die Meinungsfreiheit an Universitäten zu verteidigen", sagte Steve Hewitt von der Universität Birmingham der Deutschen Presse-Agentur. Andererseits werde versucht, Forschung einzuschränken, die das vorherrschende Bild des British Empire und historischer Persönlichkeiten wie Ex-Regierungschef Winston Churchill in Frage stellt. "Das bedeutet Redefreiheit für Menschen, denen die Regierung zustimmt, aber Einschränkungen für die, denen sie nicht zustimmt", sagte Hewitt.
ARCHIV - Die Winston-Churchill-Statue auf dem Parliament Square, nachdem sie am Donnerstag (10.09.20), dem letzten Tag der «Extinction Rebellion» Demonstrationen, mit der Aufschrift «Ist ein Rassist» beschrieben wurde. (Zu dpa: «Streit um britische Geschichte: Historiker kritisiert Doppelmoral») Foto: Alberto Pezzali/AP/dpa
Bild: Keystone/AP/Alberto Pezzali

Am heutigen Dienstag will Kulturminister Oliver Dowden bei einem runden Tisch die wichtigsten historischen Einrichtungen des Landes auffordern, einen "allgemeineren Blick" auf die britische Geschichte zu werfen. Zuletzt hatten konservative Kräfte empört auf Ankündigungen historischer Stätten reagiert, die Verwicklung ihrer früheren Eigentümer in den kolonialen Sklavenhandel zu untersuchen und deutlich zu machen. Die Debatte hatte aufgrund der Black-Lives-Matter-Proteste im Sommer 2020, bei denen in mehreren britischen Städten Denkmäler beschmiert und umgeworfen wurden, an Dynamik gewonnen.

In der Regierung von Premierminister Boris Johnson gebe es ein "tiefgreifendes Missverständnis" davon, was Geschichte ist, sagte Hewitt. "Geschichte ist keine Art Tatsache, die sich nie ändert und auf Steintafeln geschrieben von Generation zu Generation weitergegeben wird." Hewitt kritisierte, die Politik der Regierung biete die Grundlage für Einschüchterungsversuche. "Sie bringt alternative Ansichten zum Schweigen und verhindert ein umfassenderes Verständnis der Vergangenheit", sagte er. Ziel sei es, Versuche zu unterdrücken, die Kolonialgeschichte umfassender aufzuarbeiten. "Der nationale Mythos wird mit der Geschichte verschmolzen."

Auch der Brexit spiele eine Rolle in der Debatte, sagte der Historiker. Universitäten würden von Befürwortern des EU-Austritts als Feinde des Brexit-Projekts angesehen, das vor allem von englischem Nationalismus geschürt worden sei. "Nationalismus wird zum Teil von historischen Mythen angetrieben, daher stammt eine Wut gegen diejenigen, die diese Mythen in Frage stellen." (sda/dpa)