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Brexit

Britisches Parlament will Brexit verschieben

Zwei Wochen vor dem geplanten Brexit hat das britische Parlament für eine Verschiebung des EU-Austritts gestimmt. Die Abgeordneten votierten am Donnerstag in London mit 413 zu 202 Stimmen für eine Fristverlängerung.
Warten auf die Bekanntgabe des Abstimmungsresultats am Donnerstagabend im britischen Parlament - es votierte für eine Verschiebung des Brexit.
Bild: Keystone/EPA/UK PARLIAMENTARY RECORDING UNIT

Ursprünglich wollte sich Grossbritannien schon am 29. März von der Europäischen Union trennen.

Mehrere Änderungsanträge wurden zuvor abgelehnt: Mit einer überwältigenden Mehrheit sprachen sich die Abgeordneten gegen eine zweite Volksabstimmung über den EU-Austritt aus. Die Parlamentarier überliessen Premierministerin Theresa May vorerst auch weiter die Kontrolle über den Brexit-Prozess.

Der ursprüngliche Brexit-Termin in zwei Wochen war nicht zu halten, da Unterhaus und Regierung im Brexit-Kurs heillos zerstritten sind. Das zwischen May und Brüssel vereinbarte Abkommen konnte bisher wegen des Widerstands im Unterhaus nicht ratifiziert werden. Die nun beschlossene Verlängerung der Austrittsfrist kann allerdings nur umgesetzt werden, wenn alle 27 übrigen Mitgliedstaaten das billigen.

Lange oder kurze Verschiebung

May verknüpfte die Abstimmung über die Verschiebung indirekt mit einer Entscheidung über ihr Brexit-Abkommen. Ihr zufolge sollen die Abgeordneten die Wahl zwischen einer langen und einer kurzen Verschiebung haben.

Nur wenn die Abgeordneten bis zum 20. März - also einen Tag vor dem nächsten EU-Gipfel - für ihren Deal stimmten, sei eine kurze Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni möglich, betonte die Regierungschefin. Jede längere Verschiebung mache eine Teilnahme Grossbritanniens an der Europawahl (23. bis 26. Mai) nötig. Das neu gewählte EU-Parlament will am 2. Juli erstmals zusammentreten.

"Wir nehmen die Abstimmung zur Kenntnis", sagte ein Sprecher der EU-Kommission nach dem Votum im Unterhaus. Es obliege dem EU-Gipfel, sich mit der Frage einer Verschiebung zu befassen. Dabei sei die Frage zu bewerten, wie lange der Aufschub gehen solle und welche Gründe dafür genannt würden.

Tusk für langen Aufschub

Ratspräsident Donald Tusk will in der Europäischen Union für einen langen Aufschub des Brexits werben, wie er im Kurznachrichtendienst Twitter ankündigte. Vor dem EU-Gipfel Ende nächster Woche "werde ich an die EU27 appellieren, für eine lange Verlängerung offen zu sein, wenn Grossbritannien es für nötig hält, seine Brexit-Strategie zu überdenken und Konsens herzustellen", schrieb Tusk.

Auch der Brexit-Koordinator des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, äusserte sich zurückhaltend. Die EU müsse deutlich machen, dass eine Verlängerung nur unter der Bedingung möglich sei, "dass das Unterhaus für etwas abstimmt, für eine Lösung, und nicht immer nur gegen alle Lösungen", sagte er im ZDF-"heute journal".

Mit der Zustimmung Brüssels für eine Brexit-Verschiebung wird zwar gerechnet. Allerdings gibt es auf EU-Seite noch keine einheitliche Linie. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte sich zuletzt für eine höchstens kurze Verschiebung ausgesprochen. Der Brexit solle vor der Europawahl Ende Mai abgeschlossen sein, erklärte er.

Den Vorschlag für ein zweites Brexit-Referendum hatte eine unabhängige Gruppe aus ehemaligen Labour- und Tory-Abgeordneten eingebracht. Der Beschluss hat aber keine rechtlich bindende Wirkung. Die Abstimmung gilt eher als Testlauf. Nach Angaben der britischen Wahlkommission wären für ein zweites Brexit-Referendum mindestens vier, eher sechs Monate an Vorbereitungen notwendig. Dies wäre nur mit einer längerfristigen Verschiebung des Brexits machbar.

Gegen No Deal

Am Mittwochabend hatte das Unterhaus gegen einen EU-Austritt ohne Abkommen gestimmt. Die Abgeordneten verabschiedeten mit 321 zu 278 Stimmen einen Beschluss, der einen ungeordneten Brexit - anders als von der Regierung gewollt - in jedem Fall ablehnt. Die Entscheidung ist allerdings rechtlich nicht bindend. Ein sogenannter No Deal hätte weitreichende negative Folgen für die Wirtschaft und andere Bereiche.

Massive Kritik an Mays Brexit-Management übte US-Präsident Donald Trump. "Ich bin überrascht, wie schlecht es gelaufen ist", sagte er zum Auftakt eines Besuchs von Irlands Premierminister Leo Varadkar in Washington. "Sie hat nicht auf mich gehört." Trump hofft, dass die USA finanziell vom Brexit profitieren: "Meine Regierung freut sich darauf, einen umfangreichen Handelsdeal mit Grossbritannien auszuhandeln. Das Potenzial ist unbegrenzt!", twitterte Trump kurz vor der Abstimmung.

Knackpunkt Backstop

Knackpunkt im Brexit-Streit ist der sogenannte Backstop. Das ist eine im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Grossbritannien in einer Zollunion mit der Europäischen Union bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist.

Brexit-Hardliner fürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die Staatengemeinschaft fesseln und eine eigenständige Handelspolitik unterbinden. Sie hatten daher eine zeitliche Befristung oder ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop gefordert.

May führt seit einer verpatzten Neuwahl im Sommer 2017 eine Minderheitsregierung an, die die Unterstützung der nordirischen Partei DUP benötigt. Sie ist auf jede Stimme im Parlament angewiesen. (sda/dpa/afp)