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Tennis

«Ich erwarte keine Märchen»

Morgen (zirka 10.30 Uhr, SRF zwei) bestreitet Roger Federer beim Australian Open seine Auftaktpartie gegen den Österreicher Jürgen Melzer. Der Maestro brennt auf sein Grand-Slam-Comeback, bleibt aber auch Realist.
Lockere Trainingseinheit: Roger Federer.
Bild: Bild: Tracey Nearmy/EPA (Melbourne, 13. Januar 2017)

Jörg Allmeroth

sport@luzernerzeitung.ch

Es ist schon einiges passiert, seitdem Roger Federer kurz nach den Weihnachtsfeiertagen australischen Boden betreten hat. Beim Hopman-Cup stellte der Maestro wahrscheinlich einen inoffiziellen Trainings-Weltrekord auf, als er vor 7000 ausgelassenen Fans seine erste Übungseinheit in der Perth-Arena absolvierte. Dort waren auch andere denkwürdige und berührende Szenen zu sehen: ein junges Mädchen, in Tränen aufgelöst, weil es seinem Idol vor einem Match während der Auslosungszeremonie begegnete. Federer als Juxkönig, der sich als virtueller Bongo-Trommler in einer Pause vergnügte.

Und Federer als Attraktion bei der Neujahrsnacht, als er selbst für die lieben Kollegen für Selfie-Motive herhalten musste – ganz lebende Legende zum Anfassen. «Es war eine tolle Zeit bisher, aber es war nur das Vorspiel», sagt Federer über seinen Countdown zum Australian Open, «jetzt beginnt der Ernstfall.»

Längste Zwangspause seiner Karriere

Endlich also wieder grosses Tennis mit ihm, mit Federer. Er mag zwar nur noch die Nummer 17 der Setzliste beim Spektakel in Melbourne sein, das am Montag mit den stets kniffligen Erstrundenduellen beginnt. Aber der 35-jährige Meisterspieler bleibt eine Zentralfigur im Tenniskosmos, gefühlt ist so ein Grand-Slam-Turnier mit ihm – und auch mit seinem alten Weggefährten Rafael Nadal – noch einmal eine andere Sportart. «Ich brenne darauf, dass es losgeht», sagt der 17-fache Grand-Slam-Rekordsieger, der sein letztes Spiel bei einem Major vor 192 Tagen in Wimbledon bestritt – damals, es scheint eine kleine Ewigkeit her zu sein, verlor er gegen den kanadischen Aufschlag-Kanonier Milos Raonic in fünf dramatischen Sätzen. Bald stellte sich heraus, dass es Federers finale Vorstellung in der Seuchensaison gewesen war, es folgte die längste Zwangspause in seiner Karriere, ein Abschied vom Wanderzirkus auf Zeit und unter Zwang.

Erst in den kommenden Tagen werden Federer und seine Fans wirklich wissen, wie der Veteran unter den Tennis-Nomaden diese lange Pause überstanden hat. Montagnacht, Melbourne-Zeit (zirka 10.30 Uhr Schweizer Zeit), geht es los für ihn, gegen einen sehr gut bekannten Qualifikanten, gegen den gleichfalls 35-jährigen Jürgen Melzer aus Österreich. «Wir kennen uns seit einer Ewigkeit», sagt Roger Federer lächelnd, «oder noch länger.»

Das Malheur vor einem Jahr

Beim Hopman-Cup sah Federer drahtig, agil und gut erholt aus, aber es war eben noch kein Grand-Slam-Tennis, kein realer Wettkampfdruck – und damit auch nicht die massive Belastungsprobe für Körper und Geist, die nun bei potenziellen Fünf-Satz-Matches in typischer Melbourne-Hitze droht. Doch Federer will nun endlich Klarheit über seinen Formstand, und er will sich auch wieder der Jagd nach Punkten, Spielen, Sätzen und Siegen stellen. «Ich bin ein Matchspieler, und ich sehne mich nach dem Centre Court», sagt Federer, «das ist die Bühne, die ich brauche.»

In Melbourne wird Roger Federer auch an das Malheur erinnert, mit dem das Jahr 2016 jäh einen schmerzhaften und quälenden Verlauf nahm. Nach seinem Turnier-Aus im Halbfinal gegen Novak Djokovic hatte sich der Schweizer Superstar eine Meniskusverletzung zugezogen, als er sich unglücklich beim Einlassen von Badewasser für seine Zwillingstöchter das Bein verdrehte.

Viel Zeit für seine Familie

So richtig erholte er sich von dem leicht bizarren Unfall nie mehr, ein erstes Comeback kam 75 Tage später in Monte Carlo. Doch Federer eilte stets der Karawane hinterher, ausserdem schien es, als sei er zu früh wieder in den Tennisbetrieb eingestiegen, habe zu viel zu schnell gewollt. Wimbledon, ausgerechnet Wimbledon, bedeutete dann das unzeitige Saison-Aus. «Ein Jahr zum Vergessen», sei es gewesen, sagt Roger Federer. Er vergass es dann auch schnell, genoss durchaus seine plötzlich ganz und gar freie Zeit. Am liebsten mit seiner Familie natürlich.

Doch Federer ist eben vor allem noch mit ganzem Herzen, mit jeder Faser seines Körpers ein Tennis-Professional. Und so wird das Glück der gemeinsamen Tage mit Frau und Kindern vom Glück der Rückkehr in seinen geliebten Sport ergänzt. Noch immer braucht der Künstler den grossen, berauschenden Auftritt, den sportlichen Kampf Mann gegen Mann – und gewiss auch Siege. Aber er ist keiner, der sich Illusionen macht. «Ich weiss, dass ich Niederlagen wegstecken muss», sagt Roger Federer, «ich erwarte keine Märchen.»

Jedenfalls noch nicht jetzt, zu Beginn dieser Spielzeit. Später könnte er durchaus in der alten Rolle des Spielverderbers aufscheinen, vielleicht in Wimbledon, vielleicht beim US Open. Vor allem, wenn er verletzungsfrei bleibt.

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