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Hohle Gasse

Der neue Tell muss mehr als ein guter Schütze sein

Otto Weiss (82) hat in Immensee über zehn Jahre die Rolle des Wilhelm Tell gespielt. Nun tritt er kürzer. Die Suche nach einem Nachfolger läuft. Der Selbstversuch offenbart: Tell muss viele Talente haben.
Otto Weiss alias Wilhelm Tell in der Hohlen Gasse in Immensee. (Bild: Philipp Schmidli, 6. September 2012)
Otto Weiss alias Wilhelm Tell (rechts) zeigt Journalist Niels Jost, wie eine Armbrust funktioniert. (Bild: Philipp Schmidli, Küssnacht, 13. Juni 2018)

Die hölzerne Armbrust sitzt fest an der Schulter, der Pfeil steckt im Lauf. Das linke Auge zugekniffen. Konzentration. Das Visier balanciert vom rechten zum linken Rand des Korns, schliesslich schleicht es sich ruhig Richtung Mitte. Freie Schussbahn, der Apfel ist im Visier. Peng! In einer Geraden fliegt der Pfeil auf sein Ziel, bleibt stecken – aber wieder kein Volltreffer. «Etwas höher», korrigiert Otto Weiss den schreibenden Journalisten.

Unsere Zeitung will herausfinden, was es braucht, um Wilhelm Tell zu sein. Denn aktuell ist Hohlgassland Tourismus Küssnacht auf der Suche nach einem Nachfolger von Otto Weiss. Der 82-Jährige hat diese Rolle über zehn Jahre bei Führungen durch die Hohle Gasse gespielt. Das nimmt nun allerdings ein Ende. Die Zusammenarbeit mit dem neuen Hohle-Gasse-Verwalter funktioniere nicht mehr, sagte Weiss kürzlich gegenüber der Lokalzeitung «Freier Schweizer».

Beim Selbstversuch mit der Armbrust zeigt sich: Den Apfel exakt in der Mitte zu treffen, ist schwieriger, als gedacht. Und eine Abweichung liegt nicht drin, auch nicht mit der Übungsarmbrust. Schliesslich hat Otto Weiss den Apfel mit seiner richtigen Armbrust jeweils vom Kopf der Besucher geschossen.

Wobei: Dank einer raffinierten elektronischen Anlage waren die Freiwilligen nie in Gefahr. Ohnehin wird bei unserem Besuch schnell klar: Tell muss mehr sein, als ein guter Schütze. «Er muss mit viel Herzblut bei der Sache sein», sagt Otto Weiss. Der rüstige Immenseer hatte sich regelrecht mit dem Virus des Schweizer Nationalhelden infiziert, hat Bücher gelesen, liess sich massgeschneiderte Kleidung anfertigen, und nicht zuletzt seine 150 Jahre alte Armbrust verkabeln und verdrahten, sodass der perfekte, ungefährliche Apfelschuss möglich wurde. Neben diesen Feinheiten war es aber vor allem seine Aufrichtigkeit, mit der Otto Weiss die Rolle des Tells gespielt und damit perfektioniert hatte.

20 Führungen pro Jahr

Das spürten auch die Besucher in den knapp 20 Führungen im letzten Jahr, ist sich Carmen Frei, Marketing-Verantwortliche bei Hohlgassland Tourismus, sicher. Dementsprechend sagt sie: «Es wird schwer sein, in Ottos Fussstapfen zu treten.» Frei zufolge müsse auch der neue Tell in der Hohlen Gasse eine gewisse Sattelfestigkeit in der Geschichte an den Tag legen. Gewünscht werden ausserdem die Freude am Schiessen und ein gepflegtes, freundliches Auftreten.

Die fast schon ehrfürchtig wirkende Postur und der dichte Bart von Otto Weiss sind hingegen keine zwingenden Voraussetzungen, so Frei. Optimal wäre es sowieso, wenn nicht nur eine Person, sondern gleich zwei oder drei künftig den Tell in der Hohlen Gasse spielen würden. «Dann könnten wir besser auf Absenzen reagieren», sagt Frei und erzählt: «Otto hat sogar mal seine Ferien abgebrochen, um eine Führung durchzuführen.»

Seine Armbrust will Weiss nicht weitergeben

Aussagen wie diese zeugen davon, wie sehr sich Otto Weiss mit seiner Rolle identifizieren konnte. Obwohl er nun mehr Zeit für andere Sachen habe, werde er die vielen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Personen missen, sagt er. Seine Armbrust hingegen wird er seinem allfälligen Nachfolger nicht anvertrauen. «Dafür müsste er schon ein Mordskerl sein.» lz

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