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Mordfall Ylenia

2007 bewegte der Fall Ylenia die Schweiz

Die Entführung und Ermordung der fünfeinhalbjährigen Ylenia aus Appenzell bewegte die Schweiz im Sommer 2007. Am 31. Juli jährt sich das Verbrechen zum zehnten Mal. Ylenias Mutter blickt zurück.
Kerzen und Blumen beim Abschiedsgottesdienst für Ylenia im September 2007 in Appenzell. (Archivbild)
Bild: Keystone/STEFFEN SCHMIDT

Am 31. Juli wollte Ylenia Lenhard im Hallenbad in Appenzell eine vergessene Shampoo-Flasche holen. Doch das Kind kehrte nie nach Hause zurück. Der Entführer, ein in Spanien lebender Schweizer Rentner, tötete Ylenia noch am gleichen Tag und nahm sich das Leben.

Vom Kind fehlte jedoch jede Spur. Sieben Wochen lang suchte die Polizei mit Dutzenden freiwilligen Helfern und mit Hunden, Helikoptern und Tauchern die Region ab. Der Fall wurde in der Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" ausgestrahlt, eine Belohnung wurde ausgesetzt. Vergeblich.

Erst am 15. September fand ein Informatiker aus Winterthur die sterblichen Überreste des Mädchens in einem Wald bei Oberbüren. Wie die Ermittlungen ergaben, war das Kind vom Entführer mit Nitroverdünner vergiftet worden. Der Täter war wahrscheinlich pädophil. Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch fand die Polizei allerdings nicht.

Das Verbrechen liegt zwei Mal so lang zurück wie Ylenia alt wurde. "Wenn ich ehemalige Kindergarten-Gspänli meiner Tochter sehe, die jetzt die obligatorische Schulzeit hinter sich haben, werde ich traurig", sagt Charlotte Lenhard im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.

Nur noch die Erinnerung

Heute wäre auch ihre Tochter vor der Berufswahl gestanden. Was sie wohl geworden wäre? "Sie wollte damals Krankenschwester werden wie ich", erinnert sich die Mutter. Wenn sie an Ylenia denke, sehe sie das kleine Mädchen von damals. "Ich habe keine anderen Erinnerungen", sagt die 53-Jährige gefasst.

Sie lebt noch in derselben Wohnung, in die sie ein halbes Jahr vor der Entführung zusammen mit ihrem einzigen leiblichen Kind gezogen war. "Ich wollte mein Zuhause nie wechseln, denn hier ist mir Ylenia nah", sagt Charlotte Lenhard.

Im Wohnzimmer hat die Mutter einen Platz eingerichtet mit Fotos und Bastelarbeiten ihrer Tochter. In der Mitte steht eine Kopie der Engel-Urne. Zwei Urnen hatten Ylenias damals sieben- und achtjährigen Halbgeschwister getöpfert.

Auf den Friedhof in Appenzell, wo die zweite Urne mit der Asche von Ylenia bestattet wurde, geht die Mutter regelmässig. Selten besuche sie jene Stelle im Wald, wo das Kind wochenlang begraben lag und wo die Mutter mit dem Einverständnis des Waldbesitzers einen Gedenkplatz einrichten liess.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Ylenia habe an jenem Ferientag im Sommer 2007 unbedingt die vergessene Shampoo-Flasche holen wollen, erzählt die Mutter. Als Jüngste sei sie sehr selbständig gewesen und habe den Weg bestens gekannt, da ihr Kindergarten gleich neben dem Hallenbad lag.

"Sie war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort." Sie habe keinen Hass auf den Täter, sagt die Mutter. "Ich will nicht an ihn denken, sondern an mein Kind."

Nach dem Verbrechen habe ihr psychologische Betreuung sehr geholfen. Die grösste Stütze sei ihr Bruder gewesen. Er und seine Familie seien auch heute noch jederzeit für sie da.

Grossen Halt gaben ihr auch die Kinder ihrer Ex-Partnerin. Da ihre Mutter seit längerem psychische Probleme hatte, waren sie auch nach der Trennung häufig bei Charlotte Lenhard.

"Ich musste für die Kinder stark sein. Sie sind mit Ylenia aufgewachsen und haben das Verbrechen an ihrer kleinen Schwester miterlebt", sagt Lenhard. Heute ist sie die Pflegemutter der beiden Teenager, da deren leibliche Mutter sich das Leben genommen hat.

Stiftung unterstützt Kinder

Nach dem tragischen Tod ihrer Tochter gründete Lenhard die Stiftung "Ylenia". Mit 340'000 Franken wurden bisher zwei Projekte auf den Philippinen finanziert, welche die Lebensgrundlage armer Familien verbessern konnten. Die Stiftung ist auch der Grund, dass Lenhard zum zehnten Todestag ihrer Tochter an die Öffentlichkeit tritt.

Auch die Politik reagierte auf den Mord an Ylenia: Gut zwei Jahre nach der Entführung des Mädchens richtete der Bund ein Alarmsystem bei Kindesentführungen ein. Gebraucht wurde es bisher noch nie.

Das national koordinierte Alarmsystem wird aktiviert, wenn ein konkreter Verdacht oder die Gewissheit besteht, dass ein Kind entführt worden ist und sein Leben in Gefahr ist. (sda)